Kind du musst mehr essen!

Ich bin Caro, habe Anorexie und kämpfe mit der Krankheit schon seit über 20 Jahren.

Mit 11 Jahren begann ich zu tanzen. Es gab ein sehr schlankes Mädchen in meiner Gruppe: Sie konnte Spagat und durfte immer vorne stehen. Das wollte ich auch! Scheinbar musste ich nur dünner werden. Ich beschloss, weniger zu essen und es klappte: ich konnte Spagat und ich wurde nach vorne gestellt. Das es dabei um die sportliche Leistung ging und nicht um die Figur, war mir damals nicht bewusst. Von da an hungerte ich, um Anerkennung zu bekommen. Besonders Kohlenhydrate wurden meine Feinde und sind bis heute noch meine “Angstmacher”. Ich aß damals beispielsweise nur einen Apfel, etwas Jogurt und ein Brot am Tag und wog 45kg bei 162cm. Meine Trainerin wollte mich in diesem Zustand nicht mehr tanzen lassen. Das Wichtigste in meinem damaligen Leben sollte mir genommen werden. Ich war sauer und fühlte mich unverstanden. Aber von dem Punkt an fing ich wieder an, mehr zu essen und wurde eine tolle Tänzerin. Dass ich eine kurze Essstörung hatte, war mir nicht bewusst.

Ich liebte Sport, und studierte Sportwissenschaften. Doch damit wurde der Grundstein zur manifesten Anorexie gelegt. Durch den vermehrten Theorieanteil im Studium war ich getrieben, mehr Sport zu machen. Ich fing an, wieder mehr auf Kohlenhydrate zu verzichten. Ich koppelte Essen an Sport. Ich darf essen, wenn ich mich bewegt habe. Ich wurde wieder dünner, ich leugnete, dass ich ein Problem hatte, bis mein damaliger Freund mir riet, mir einen Therapieplatz zu suchen. Aber ich hatte keine Krankheitseinsicht. Die Therapie machte ich, damit die anderen still waren. Ich hatte Hungerphasen, Essanfälle und trieb exzessiv Sport.
Nach dieser erfolglosen, abgebrochenen Therapie folgten mehrere stationäre Aufenthalten in der Charité. Leider hatte ich keine Krankheitseinsicht. Ich wog 30kg- und fand mich immer noch zu dick.

Bis meine Eltern sagten: So geht es nicht weiter – du bist nicht mehr unsere Tochter, wenn du dir nicht Hilfe suchst. Das war der Wendepunkt. Ich fand die „Schön Klinik“, war dort 3 Jahre -mit eingeplanten Intervallen zu Hause-fand mein Leben, Freunde und eine Arbeit. Ich war glücklich. Dann kam Corona. Ich verlor die Struktur, meinen Halt – die Arbeit. Ich fing wieder an, Bewegung mit Essen zu koppeln und nahm wieder ab. Jedoch zog ich eher die Reißleine und beschloss FÜR MICH wieder in eine Klinik zu gehen. Dort lernte ich viel mehr über mich als je zuvor.

Etwas später entstand dann die Idee mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. In Potsdam gab es jedoch leider keine. Also beschloss ich, auf Anraten von Frau Lange vom SEKIZ e.V., selbst eine zu gründen. Mit Erfolg: wir sind seit der Gründung gewachsen, aber ich habe auch bemerkt, dass das Thema immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft ist. Leider.

Trotz meiner langjährigen “Klinik”-Erfahrung bin ich immer noch nicht geheilt, ich profitiere von der Arbeit an der Enttabuisierung und der Gruppe. Es lässt mich meinen Heilungsprozess nicht vergessen.

Caroline Huke
Leiterin Selbsthilfegruppe „Magersucht“ SEKIZ Potsdam

Weitere Geschichten